Schach
"Ein Weg in die
Dunkelheit"
Schachweltmeister Wladimir Kramnik über seinen
Kampf gegen den stärksten Computer, kontrollierte Gefühle am Brett und die
gestalterische Ästhetik seiner Spielzüge
SPIEGEL: Herr Kramnik, Sie spielen ab Freitag in Bahrein acht Partien gegen das Schachprogramm Deep Fritz und verteidigen im Frühjahr gegen den Ungarn Peter Leko Ihren Weltmeistertitel. Welches Match wird das härtere?
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SPIEGEL: Mit welcher Strategie wollen Sie den Computer denn besiegen?
Kramnik: Deep Fritz ist in der Lage, pro Sekunde mehr als drei Millionen Züge zu berechnen - da kann kein Mensch mithalten. Ich muss also verhindern, dass der Computer seine Rechenkraft entfaltet. Und das werde ich tun, indem ich Stellungen provoziere, die er nicht kapiert. Die Maschine muss sich unwohl fühlen - wenn man das so sagen kann.
SPIEGEL: Sie setzen der enormen Rechenkapazität Ihre Kreativität entgegen?
Kramnik: Exakt. Der Computer ist ein dreister Straßenräuber: Er grabscht gern Figuren, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. In einem schnellen Gefecht hätte ich nicht den Hauch einer Chance. Aber die Kiste ist nicht in dem gleichen Maße wie der Mensch fähig, Wissen in einen Kontext zu stellen. Das will ich ausnutzen.
SPIEGEL: Gibt es noch mehr Vorteile, die der Mensch gegenüber dem Programm besitzt?
Kramnik: Intuitives Handeln ist eine Begabung, die einer Maschine fremd ist und sie darum vor Probleme stellen kann. Ich weiß manchmal aus dem Bauch heraus, wie ich ziehen muss. Ich kann es nicht erklären, auch nicht mathematisch beweisen, ich fühle es einfach - und mein Gefühl hat mich selten getäuscht.
SPIEGEL: Vor fünf Jahren hat Garri Kasparow gegen den IBM-Superrechner Deep Blue gespielt und verloren. Treten Sie nun an, um die Ehre der Menschheit zu retten?
Kramnik: Ich betrachte das Duell nicht als Revanche. Für mich ist es einfach ein Spiel gegen einen sehr starken, ungewöhnlichen Gegner, den ich schlagen möchte.
SPIEGEL: 1997 verzeichneten die Veranstalter stundenweise über 22 Millionen Zugriffe auf die Homepage des Turniers. Was ist so faszinierend am Kampf Mensch gegen Maschine?
Kramnik: Es hat zum einen mit der Angst zu tun, eines Tages von Maschinen kontrolliert zu werden. Ein schreckliches Szenario, vor dem man die Augen nicht verschließen sollte - der Zeitpunkt ist nicht mehr fern, an dem kein Mensch mehr eine Schachpartie gegen einen Computer gewinnen wird. Zum anderen: Warum, denken Sie, wollen die Deutschen, dass ihre Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister wird?
SPIEGEL: Weil sie sich mit dem Team identifizieren.
Kramnik: Genau. Und so ist es auch in diesem Fall: Menschen haben keine emotionale Bindung zu einer Blechschachtel, deshalb wollen sie, dass ihr Vertreter gewinnt. Ich gehe davon aus, dass ein Computer zu seinesgleichen hielte.
SPIEGEL: Wie haben Sie sich auf die Begegnung mit Deep Fritz vorbereitet?
Kramnik: Ich habe versucht zu analysieren, wie er in bestimmten Situationen reagiert. Wie er verteidigt, wie er angreift. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen täglich mindestens acht Stunden mit dem Programm trainiert und eine Ahnung bekommen, wie es tickt.
SPIEGEL: Können Sie jetzt nicht einfach jene Partien wiederholen, die Sie in der Vorbereitung bereits gewonnen haben, um erneut über den Rechner zu triumphieren?
Kramnik: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Partie absolut identisch verläuft, tendiert gegen null. Die Vorbereitung gegen einen Menschen ist wesentlich konkreter, weil man die Lieblingseröffnungen seines Gegners kennt. Deep Fritz ist da flexibel. Außerdem ist die Software dynamisch, das heißt, sie spielt nach dem Trial-and-Error-Prinzip.
SPIEGEL: Sie lernt aus Niederlagen?
Kramnik: Der Computer merkt sich, wenn ein bestimmter Zug nicht zum Erfolg führt und wendet in einer vergleichbaren Situation einen anderen an. Ich weiß also nie, was in seinem Programm vorgeht, manchmal verblüfft mich die Maschine mit Ansätzen menschlichen Genies.
SPIEGEL: Ihre Bedingungen sind deutlich besser als seinerzeit Kasparows. Von Deep Fritz sind gut 4000 Partien dokumentiert, von Deep Blue war keine öffentlich.
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SPIEGEL: Wie wollen Sie verhindern, dass Ihnen dasselbe passiert?
Kramnik: Deep Fritz ist stärker als Deep Blue - psychologisch spricht alles gegen mich. Ich muss mental stark sein und bin zuversichtlich, dass mir der Sieg gelingen wird.
SPIEGEL: Warum?
Kramnik: Weil ich mich von niemandem unter Druck setzen lasse. Nur mit dieser Einstellung gelingt es mir, kreativ zu sein. Und zweitens, weil ich anders als Kasparow oder Bobby Fischer nicht die Attitüde habe, das Ego meines Gegenübers zerstören zu müssen - selbst wenn es eine Maschine ist.
SPIEGEL: Wenn Schach für Sie kein Psychokrieg ist, was dann?
Kramnik: Eine Mischung aus Kunst und Wissenschaft. Schach ist ein sehr komplexes Spiel, für eine Partie mit 40 Zügen gibt es mehr verschiedene Verläufe als Atome im Universum. Mein Vater ist Kunstmaler; wie er jeden Pinselstrich auf der Leinwand kreiert, so kreiere ich jeden Zug auf dem Brett. Viele Menschen glauben, Schach werde nur aus der Erinnerung heraus gespielt: dass man alle Züge auswendig lerne und später abrufe. Das ist Unsinn. Es gibt eine gestalterische Ästhetik im Schach.
SPIEGEL: Ihnen wird oft vorgeworfen, ein eher vorsichtiges, konventionelles Schach zu spielen.
Kramnik: Na und? Nicht jeder mag Pablo Picasso.
SPIEGEL: Sie zeigen während einer Partie fast nie Emotionen. Sind Sie ein gefühlsarmer Mensch?
Kramnik: Dass ich meine Gefühle nicht zeige, heißt ja nicht, dass ich keine habe. Ich kontrolliere sie. Ich will dem Gegner nicht verraten, ob ich mit einer Position zufrieden bin oder nicht. Im normalen Leben ist es ähnlich: Warum soll ich andere Leute belasten, wenn es mir schlecht geht? Mein Vater hat mir eingebläut, dass ein Mann seine Emotionen kontrollieren müsse. Das hat sich tief in mein Gedächtnis gebrannt.
SPIEGEL: Kasparow gilt als Ihr Entdecker und Förderer. Vor zwei Jahren haben Sie ihm den Titel weggeschnappt. Eine Art Vatermord am Brett?
Kramnik: Man darf das nicht überbewerten. Garri hat mein Spiel natürlich stark beeinflusst, aber ich hatte Dutzende Lehrmeister. Es ist nicht so wichtig, einen guten Lehrer zu haben - es ist wichtig, ein guter Schüler zu sein.
SPIEGEL: Es heißt, Kasparow hasse Sie jetzt.
Kramnik: Kasparow hat eine strikte Rollenverteilung im Schach: Einer ist der Killer, der andere das Opfer. Er kann unmöglich mit einem Konkurrenten befreundet sein. Weil ich ihn besiegt habe, bin ich sein Feind - egal, was ich tue oder sage. Außer ich verliere eines Tages wieder gegen ihn.
SPIEGEL: Kasparow gilt als das brillanteste Hirn der Schachgeschichte. Glauben Sie, er wird noch einmal Weltmeister?
Kramnik: Viel Zeit hat er dazu jedenfalls nicht mehr. Er wird bald 40, und das ist für einen Top-Spieler ein kritisches Alter. Er wird den letzten Tropfen Energie aus seinem Körper quetschen, um es noch einmal zu schaffen, aber er wird bestimmt nicht mehr so stark spielen wie früher.
SPIEGEL: Welchen Spieler fürchten Sie zurzeit am meisten?
Kramnik: Es findet gerade eine kleine Revolution statt. Früher war es so, dass ein Spieler das Schach jahrelang dominiert hat. Die Machtverhältnisse wechseln inzwischen erstaunlich schnell, man kann nicht einmal genau sagen, was in einem Jahr sein wird.
SPIEGEL: Welches ist der Grund für diese Entwicklung?
Kramnik: Heutzutage erleichtern es Schachcomputer, das Spiel zu lernen. Wer talentiert ist, kann sehr schnell sehr gut werden: Der Ukrainer Sergej Karjakin ist kürzlich im Alter von zwölf Jahren und sieben Monaten Großmeister geworden. Ich glaube nicht, dass der Junge talentierter ist als ich, aber ich hatte erst mit 19 Gelegenheit, ernsthaft mit einem Computer zu arbeiten.
SPIEGEL: Sie sind zwar Weltmeister, aber hinter Kasparow nur die Nummer zwei der Weltrangliste. Ärgert Sie das?
Kramnik: Ranglisten sind doch nur wichtig für Turnierorganisatoren. Wenn Platz eins der Weltrangliste ein rostiges Fahrrad ist, dann ist der Weltmeistertitel ein Siebener-BMW. Wichtiger als alle Erfolge ist, dass ich mich stetig verbessere. Ich habe mein Limit noch nicht erreicht.
SPIEGEL: Sind Sie auf der Suche nach Perfektion?
Kramnik: Kein Mensch wird jemals perfekt Schach spielen, das ist unmöglich. Aber ich möchte der Perfektion so nahe kommen wie möglich. Ich bin ein Getriebener.
SPIEGEL: Dann muss es ein Alptraum für Sie sein, nicht zu wissen, welcher Zug in einer gewissen Stellung der beste ist, und die Zeit läuft Ihnen davon.
Kramnik: Das ist definitiv nicht die angenehmste Situation. Aber Schach ist derart kompliziert, dass man sich im Grunde nie sicher sein kann, welcher Zug der beste ist. Man hat bestimmte Vorstellungen und Ideen, aber es bleibt doch immer Spekulation: ein Weg in die Dunkelheit.
SPIEGEL: Fällt es Ihnen schwer, einmal nicht an Schach zu denken?
Kramnik: Das ist das größte Problem eines jeden Schachspielers: sein Gehirn auszuschalten. Schon seltsam, denn in der Regel haben Menschen eher mit dem Gegenteil Schwierigkeiten. Schachspieler können pausenlos Varianten durchrechnen, sie brauchen dazu kein Brett. Ich kann blind spielen, und genau das macht es mir so schwer abzuschalten. Unter der Dusche, beim Essen - man hört nicht auf nachzudenken. Ich liege im Bett, versuche zu schlafen, und dann bahnen sich wieder all die Züge ihren Weg in meinen Kopf: Der Zwang zur Analyse ist stärker als ich. Während eines Turniers schlafe ich oft erst im Morgengrauen ein.
SPIEGEL: Wie schaffen Sie es, sich abzulenken?
Kramnik: Es gibt Kollegen, die spielen Karten, um ihr Gehirn zu entspannen. Ich spiele gern Tennis. Da habe ich einen Schläger in der Hand und muss mich permanent auf den Ball konzentrieren. Laufen oder Schwimmen wären nichts für mich, da könnte ich nebenher Probleme wälzen.
SPIEGEL: Leben Schachspieler in einem Paralleluniversum?
Kramnik: Ich würde mich mulmig fühlen, wenn ich nicht meinen eigenen kleinen Planeten hätte. Schachspieler sind schon irgendwie wahnsinnig.
SPIEGEL: Sie haben bis Mitte der neunziger Jahre nach Herzenslust fettige Pizza gegessen, geraucht und Wodka getrunken. Warum heute nicht mehr?
Kramnik: Eines Tages war mein Kopf völlig leer, als ich vor dem Brett saß. Da dachte ich, dass ich doch etwas vernünftiger werden sollte. Ich habe dann angefangen, mich langsam zu verändern.
SPIEGEL: Spielen Sie jetzt besser?
Kramnik: Ja, aber man sollte daraus keine Gesetzmäßigkeit ableiten. Michail Botwinnik etwa lebte nach einem strengen Ernährungsplan, Fitnesstraining wechselte ab mit Atemübungen. Aber Botwinnik verlor seinen Weltmeistertitel an Michail Tal - einen Bohemien, der sein ganzes Leben lang getrunken und geraucht hat.
SPIEGEL: Haben Sie Interessen abseits des Schachs?
Kramnik: Ich habe wenig Zeit für anderes, aber Musik und Literatur faszinieren mich. Ich lese ganz unterschiedliche Sachen: Historisches, Philosophisches. Nicht, um zu entspannen - ich lese, um zu lernen, im Sinne von Erkenntnisgewinn.
SPIEGEL: Welches Werk hat Sie am meisten beeindruckt?
Kramnik: "Der Meister und Magarita" von Michail Bulgakow. Viele Menschen mögen das merkwürdig finden, weil es ein sehr abstraktes Buch ist, aber ich mag abstrakte Bücher. Sie handeln von der Nähe zu Gott. Und das entspricht dem Wesen eines Schachspielers.
SPIEGEL: Wilhelm Steinitz, Weltmeister von 1886 bis 1894, wollte am Ende seiner Karriere gegen Gott antreten. Wenn Sie gegen den Computer und den menschlichen Kontrahenten gewinnen sollten ...
Kramnik: ... hätte es trotzdem keinen Zweck, Gott herauszufordern. Er ist viel zu stark.
SPIEGEL: Herr Kramnik, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Erich Follath und Maik
Großekathöfer.
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